"Der Mordparagraf hat überall Schwächen"

Wissenschaftlerinnen erklären Herausforderungen eines aktuellen Femizid-Falls

Am Freiburger Landgericht wurde ein Mann wegen des Mordes an seiner Ehefrau zu lebenslanger Haft verurteilt; angeklagt worden war er aber nur wegen Totschlags. Expertinnen des Max-Planck-Instituts erläutern die Herausforderungen bei der Anwendung des Mordparagrafen und erklären, warum ein eigener Straftatbestand für Femizid sinnvoll wäre.

Am Freiburger Landgericht endete jüngst ein Prozess, an dessen Ende ein im südlichen Schwarzwald lebender Mann wegen Mordes an seiner Frau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Gericht sah das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrunds als erfüllt an. Angeklagt worden war der Mann aber „nur“ wegen Totschlags.

Laut Konstanze Jarvers und Cristina Valega ist die Anklage wegen Totschlags kein Einzelfall. Die beiden Strafrechtlerinnen forschen am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht zum Thema Femizid. Femizide sind Tötungen von Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts.

Sie könne sich an keinen Femizidfall erinnern, der tatsächlich als Mord eingestuft wurde, sagte Jarvers im Interview mit der „Badischen Zeitung“ (BZ). Aber: „Eine schwere Tat sollte auch schwer bestraft werden, da geht es um die Verhältnismäßigkeit.“ An deutschen Gerichten bestehe die Neigung, hinter Taten falsche Motivationen zu sehen. Wenn beispielsweise eine Frau fremdgegangen sei, scheuten sich die Richter, niedrige Beweggründe anzunehmen, da das Opfer vielleicht seinen Teil zur Tat beigetragen haben könnte. Dem Mordparagraf 211 des Strafgesetzbuches attestiert Jarvers „überall Schwächen“. Ein möglicher Ansatz wäre, ein entsprechendes Mordmerkmal Femizid zu konstruieren, das man sinnvollerweise eher objektiv formulieren müsse. Hierzulande spielt der Begriff Femizid vor Gericht keine Rolle. Einige Länder Lateinamerikas hingegen haben den Femizid bereits als eigenen Straftatbestand eingeführt.

Eine schwere Tat sollte auch schwer bestraft werden, da geht es um die Verhältnismäßigkeit.
Konstanze Jarvers

Jarvers Kollegin Cristina Valega ist Peruanerin und kennt die rechtliche Situation in Deutschland und Lateinamerika. Das Strafrecht müsse auch hierzulande so verändert werden, dass ein diskriminierender Kontext als strafverschärfendes Merkmal berücksichtigt werde, erläutert sie der BZ – etwa „wenn jemand wegen seiner Identität getötet wird, wegen seines Geschlechts, seiner Nationalität, seiner Behinderung.“ Gleichzeitig betont Valega die Bedeutung von Prävention, die vor allem durch Bildung erzielt werden könne.

Das Interview ist am 05.07.2025 in der „Badischen Zeitung“ und am 06.07.2025 in „Der Sonntag“ erschienen und kann hier heruntergeladen werden.


Die Bestrafung des Femizid in rechtsverglei­chen­der Perspektive

Ein Projekt am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht untersucht und vergleicht die rechtliche Situa­tion in elf Ländern in Europa und Amerika aus rechtsvergleichender Perspektive. Die drei Max-Planck-Wissenschaftlerinnen Konstanze Jarvers, Emily Silver­man und Cristina Valega Chipoco wollen damit herausfinden, welche Straftatbestände und Straf­zu­mes­sungs­regeln am wirksamsten sind und ob es vorteilhaft sein könnte, einen eigenständigen Straftatbestand des Femizids einzuführen. Unterstützt werden sie von sogenannten Landesberichterstatterinnen und -erstattern. Erste Ergebnisse sollen 2026 vorliegen.

 

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